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Der Dicke Daniel und die Bergwanderung

Dass es für einen Durchschnittstriathleten wie mich ein bisschen wahnsinnig ist, sich für den NORSEMAN EXTREME TRIATHLON anzumelden, hatte ich ja schon geahnt, nicht jedoch, dass sich der Wahnsinn in solchen Größenordnungen bewegen sollte, das hatte ich mir einfach nicht vorstellen können, zumindest nicht bis zu dem Tag, an dem auf dem Weg nach Eidfjord, dem Startpunkt dieser ebenso grausamen wie wunderschönen Reise im Langdistanzformat, mit dem Auto quasi die Radstrecke in Gegenrichtung abfuhr.

So stand ich dann also, ein wenig sorgenvoll, morgens um 3:00h am Pier in Eidfjord, um mein Rad einzuchecken und an Bord der Fähre zu gehen, die dann Punkt 4:00h ablegt, Kurs 3,8 km hinaus in den Hardangerfjord. Die Stimmung ist wie elektrisch, der Morgen bzw. die Nacht ist mild, dazu ist es noch dunkel, man fühlt sich unweigerlich an Hawaii erinnert. Eidfjord ist sicher das Kona des Nordens.

Mit sorgenvollem Blick, durchaus berechtigt, wie wir mittlerweile wissen


Die Fähre hat mittlerweile die Absprungzone erreicht und kurz vor 5:00h plumpse ich mit 229 anderen Startern aus 5 Metern Höhe vom Autodeck ins Wasser, das mit 17° beruhigenderweise geradezu muckelig warm ist. D-Day hat begonnen.
Die nächste Zeit vergeht unspektakulär. Ich rudere wild durch den Fjord und erreiche nach gut 1:44 Stunden mit wundgescheuertem Nacken den Strand.
Dann stellt sich erstmal Routine ein: Wechseln, aufs Rad, losfahren, langsam die Sauerstoffversorgung im Hirn wieder in den Griff bekommen...
Das passiert gerade rechtzeitig, bevor die Straße plötzlich einen Knick macht. Nach oben.
Das ist auch die Richtung der nächsten 35 km. Von 0 auf 1250 Meter zum Dyranut Turisthem, einer Art Berghütte am Beginn der Hardangervidda, Europas größter Hochebene. Hier in Dyranut treffe ich das erste Mal seit dem Ablegen der Fähre meine Supportcrew zur Proviantaufnahme.

Ein Vorteil konsequenter Aerodynamik ist, dass das Fahrrad vorne nicht so hoch ist wie hinten.


Die jetzt folgende Passage der Hardangervidda ist von geradezu unglaublicher landschaftlicher Schönheit. Vorbei am Hardangergletscher über die karge, leicht hügelige und vor allem stark windige Ebene.
Schon bevor nach 90km die fiesen Steigungen anfangen, weiß ich dass mein Fahrplan in Gefahr ist. Ich muss, um auf den Gipfel das Gaustatoppen zu dürfen und das schwarze Finsher-Shirt zu bekommen, nach 14:30 Stunden am Checkpoint bei Lauf-km 32,5 sein. Das wird langsam immer unwahrscheinlicher, die Radzeit rechne ich mittlerweile auf 9 Stunden hoch, 8 wären gerade noch OK gewesen.

Noch langsamer wäre rückwärts


Die Steigungen kommen ebenso unweigerlich wie plötzlich. 3x 4 km mit 7%, im Anschluss 6km mit 4%, alles natürlich mit Gegenwind, dann noch 10 km mit 8-10%.
Oben auf de Immingfell-Plateau angelangt, dann noch einmal 10 km, hatte ich schon den Gegenwind erwähnt? Dann endlich 30 rumpelige Kilometer Abfahrt zur Wechselzone in Austbygde, tatsächlich nach genau 9 Stunden. Hier überlege ich ernsthaft, ob es überhaupt Sinn macht, noch zu laufen. Ich habe es aber meiner Crew versprochen, also humpele ich los, komme dann doch schnell in einen schon irgendwie zügigen Laufschritt.

Doch, doch, gelaufen wurde auch!


Das geht ca. 16 km gut, dann ist der Ofen aus. Ich hatte wieder die Zeit hochgerechnet und die grausame Erkenntnis erlangt, dass das Zeitlimit nicht mehr zu schaffen war.
Das war die vorletzte volle Breitseite auf das restliche bisschen Motivation. Na gut, dann gehe ich eben. Lukas, mein Support, stellt das MTB weg und marschiert auch.
Nach weiteren 4 km macht die Straße ins Rjukantal einen leichten Linksschwenk und da kommt dann der gefürchtete Moment. Langsam schiebt sich der Gaustatoppen, auf dessen Gipfel das Ziel liegt, breitschultrig und abweisend ins Blickfeld, bis er es völlig beherrscht. Fast sind wir erleichtert, da nicht mehr hoch zu dürfen. Naja, an diesem Punkt des Rennens bleibt dann auch die geistige Zurechnungsfähigkeit auf der Strecke.

Da steht er, der breitschultrige Herr.


Nochmal 5 qualvolle Kilometer weiter stehen wir dann vor den liebevoll "Zombie Hill" genanten Serpentinen zum Checkpoint. 7,5 km also mit einer durchschnittlichen Steigung von etwa 10% liegen nun vor uns. Ich weigere mich erfolgreich, an die dann noch folgenden 10 km bis zum Ziel überhaupt nur zu denken.
Auch über die Zeit habe ich keinen Überblick mehr. Die Welt besteht nur noch aus bergauf.
Irgendwann erreichen wir, zwischendurch hat Marlene, meine Tochter, den Support übernommen und begleitet mich die Straße hoch, dann doch noch den inzwischen gar nicht mehr für real erachteten Checkpoint, wo ich auf die letzten 10 km zum Alternativziel am Hotel Gaustablikk umgeleitet werde.
10 übel schmerzhafte bergige Kilometer. Trotzdem gelingt es mir, passagenweise doch noch zu laufen und einige Nachzüglerkonkurrenten hinter mir zu lassen. Marlene läuft die ganze Strecke mit und scheint gar nicht müde zu werden. 17:42 Stunden sind es dann geworden, als ich endlos erschöpft und mental vollkommen leer auf dem Parkplatz des Gaustablikk stehe, ohne richtige Ziellinie, aber unter dem Jubel sowohl meiner Crew als auch dem der Zeitnehmer.
Nun ist mir also nur das weiße Shirt sicher, im ersten Moment bin ich maßlos enttäuscht. Am nächsten Morgen aber...
nein, da bin ich immer noch enttäuscht.
3 Tage brauche ich, um darüber weg zu kommen und Freude zu verspüren, dieses unglaubliche Rennen nicht aufgegeben zu haben.

Nochmal 3 Tage später beginne ich die Planung für den nächsten Start in Eidfjord.

Daniel Flöttmann



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