Dass es für einen Durchschnittstriathleten wie mich ein bisschen
wahnsinnig ist, sich für den NORSEMAN EXTREME TRIATHLON anzumelden,
hatte ich ja schon geahnt, nicht jedoch, dass sich der Wahnsinn
in solchen Größenordnungen bewegen sollte, das hatte ich mir
einfach nicht vorstellen können, zumindest nicht bis zu dem
Tag, an dem auf dem Weg nach Eidfjord, dem Startpunkt dieser
ebenso grausamen wie wunderschönen Reise im Langdistanzformat,
mit dem Auto quasi die Radstrecke in Gegenrichtung abfuhr.
So stand ich dann also, ein wenig sorgenvoll, morgens um 3:00h
am Pier in Eidfjord, um mein Rad einzuchecken und an Bord
der Fähre zu gehen, die dann Punkt 4:00h ablegt, Kurs 3,8
km hinaus in den Hardangerfjord. Die Stimmung ist wie elektrisch,
der Morgen bzw. die Nacht ist mild, dazu ist es noch dunkel,
man fühlt sich unweigerlich an Hawaii erinnert. Eidfjord ist
sicher das Kona des Nordens.
Mit sorgenvollem Blick, durchaus berechtigt, wie wir mittlerweile
wissen
Die Fähre hat mittlerweile die Absprungzone erreicht und kurz
vor 5:00h plumpse ich mit 229 anderen Startern aus 5 Metern
Höhe vom Autodeck ins Wasser, das mit 17° beruhigenderweise
geradezu muckelig warm ist. D-Day hat begonnen.
Die nächste Zeit vergeht unspektakulär. Ich rudere wild durch
den Fjord und erreiche nach gut 1:44 Stunden mit wundgescheuertem
Nacken den Strand.
Dann stellt sich erstmal Routine ein: Wechseln, aufs Rad,
losfahren, langsam die Sauerstoffversorgung im Hirn wieder
in den Griff bekommen...
Das passiert gerade rechtzeitig, bevor die Straße plötzlich
einen Knick macht. Nach oben.
Das ist auch die Richtung der nächsten 35 km. Von 0 auf 1250
Meter zum Dyranut Turisthem, einer Art Berghütte am Beginn
der Hardangervidda, Europas größter Hochebene. Hier in Dyranut
treffe ich das erste Mal seit dem Ablegen der Fähre meine
Supportcrew zur Proviantaufnahme.
Ein Vorteil konsequenter Aerodynamik ist, dass das Fahrrad
vorne nicht so hoch ist wie hinten.
Die jetzt folgende Passage der Hardangervidda ist von geradezu
unglaublicher landschaftlicher Schönheit. Vorbei am Hardangergletscher
über die karge, leicht hügelige und vor allem stark windige
Ebene.
Schon bevor nach 90km die fiesen Steigungen anfangen, weiß
ich dass mein Fahrplan in Gefahr ist. Ich muss, um auf den
Gipfel das Gaustatoppen zu dürfen und das schwarze Finsher-Shirt
zu bekommen, nach 14:30 Stunden am Checkpoint bei Lauf-km
32,5 sein. Das wird langsam immer unwahrscheinlicher, die
Radzeit rechne ich mittlerweile auf 9 Stunden hoch, 8 wären
gerade noch OK gewesen.
Noch langsamer wäre rückwärts
Die Steigungen kommen ebenso unweigerlich wie plötzlich. 3x
4 km mit 7%, im Anschluss 6km mit 4%, alles natürlich mit
Gegenwind, dann noch 10 km mit 8-10%.
Oben auf de Immingfell-Plateau angelangt, dann noch einmal
10 km, hatte ich schon den Gegenwind erwähnt? Dann endlich
30 rumpelige Kilometer Abfahrt zur Wechselzone in Austbygde,
tatsächlich nach genau 9 Stunden. Hier überlege ich ernsthaft,
ob es überhaupt Sinn macht, noch zu laufen. Ich habe es aber
meiner Crew versprochen, also humpele ich los, komme dann
doch schnell in einen schon irgendwie zügigen Laufschritt.
Doch, doch, gelaufen wurde auch!
Das geht ca. 16 km gut, dann ist der Ofen aus. Ich hatte wieder
die Zeit hochgerechnet und die grausame Erkenntnis erlangt,
dass das Zeitlimit nicht mehr zu schaffen war.
Das war die vorletzte volle Breitseite auf das restliche bisschen
Motivation. Na gut, dann gehe ich eben. Lukas, mein Support,
stellt das MTB weg und marschiert auch.
Nach weiteren 4 km macht die Straße ins Rjukantal einen leichten
Linksschwenk und da kommt dann der gefürchtete Moment. Langsam
schiebt sich der Gaustatoppen, auf dessen Gipfel das Ziel
liegt, breitschultrig und abweisend ins Blickfeld, bis er
es völlig beherrscht. Fast sind wir erleichtert, da nicht
mehr hoch zu dürfen. Naja, an diesem Punkt des Rennens bleibt
dann auch die geistige Zurechnungsfähigkeit auf der Strecke.
Da steht er, der breitschultrige Herr.
Nochmal 5 qualvolle Kilometer weiter stehen wir dann vor den
liebevoll "Zombie Hill" genanten Serpentinen zum Checkpoint.
7,5 km also mit einer durchschnittlichen Steigung von etwa
10% liegen nun vor uns. Ich weigere mich erfolgreich, an die
dann noch folgenden 10 km bis zum Ziel überhaupt nur zu denken.
Auch über die Zeit habe ich keinen Überblick mehr. Die Welt
besteht nur noch aus bergauf.
Irgendwann erreichen wir, zwischendurch hat Marlene, meine
Tochter, den Support übernommen und begleitet mich die Straße
hoch, dann doch noch den inzwischen gar nicht mehr für real
erachteten Checkpoint, wo ich auf die letzten 10 km zum Alternativziel
am Hotel Gaustablikk umgeleitet werde.
10 übel schmerzhafte bergige Kilometer. Trotzdem gelingt es
mir, passagenweise doch noch zu laufen und einige Nachzüglerkonkurrenten
hinter mir zu lassen. Marlene läuft die ganze Strecke mit
und scheint gar nicht müde zu werden. 17:42 Stunden sind es
dann geworden, als ich endlos erschöpft und mental vollkommen
leer auf dem Parkplatz des Gaustablikk stehe, ohne richtige
Ziellinie, aber unter dem Jubel sowohl meiner Crew als auch
dem der Zeitnehmer.
Nun ist mir also nur das weiße Shirt sicher, im ersten Moment
bin ich maßlos enttäuscht. Am nächsten Morgen aber...
nein, da bin ich immer noch enttäuscht.
3 Tage brauche ich, um darüber weg zu kommen und Freude zu
verspüren, dieses unglaubliche Rennen nicht aufgegeben zu
haben.
Nochmal 3 Tage später beginne ich die Planung für den nächsten
Start in Eidfjord.
Daniel Flöttmann