Stille
- sie hat sich mit dem Untergang der Sonne allmählich über die
beiden Königsschlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau Ludwigs
II. gelegt. Auch wir, die zwei Biker, die gerade noch eifrig die
Startnummer am Lenker mit jeweils drei Kabelbinder befestigen
und noch ein letztes Mal die Bikes gecheckt haben, sind zur Ruhe
gekommen und genießen die letzten Stunden des Tages auf der Holzbank
und in die dunkle Bergwelt starrend.
Wir haben uns viel vorgenommen, für unseren einwöchigen Trip.
Mit unseren Fahrräder per Muskelkraft über die Alpen, von Füssen
im Allgäu bis Riva del Garda in Italien. Die BIKE Transalp, das
härteste Mountainbike Rennen der Welt, der Mythos aller Etappenrennen.
Wer sind denn "wir"? Die "Zuckerpuppe" Ute und ich, Nils - das
Team Fremdgänger! Dieses fremd gehen hat jetzt nichts mit den
heimlichen Partnertausch zu tun. Ute kann eigentlich besser laufen
als pedalieren und mein Teampartner der letzten drei Transalp´s
hieß eigentlich Daniel und ich wollte nie ohne ihn über die hohen
Berge der Alpen fahren. Dieses Jahr sollte alles anders werden.
Ute und ich, wir haben uns an die Hand genommen und ein neues
mixed Team erblickte die Welt - das war im Herbst 2009. Wir kauften
für Ute ein Rotwild und die Laufschuhe wurde gegen Radschuhe ausgetauscht.
Uhi, uuhii, uuhhiii - das war nicht immer einfach. Ute´s Marathonzeit
von drei Stunden und achtzehn Minuten sollte erst einmal nicht
verbessert werden - Fahrtechnik stand ganz oben auf der to do
Liste. Im Oktober 2009 ging es für vierzehn Tage mit unseren Geländefahrrädern
über das marokkanische Atlasgebirge. Im Winter wurde durch die
Eiszeit das Fahrrad viel zu oft stehen gelassen und im Frühjahr
ging es dann unter anderen für eine Woche intensives Fahrtraining
und Berge hochfahren zum "heiligen" See nach Riva del Garda. Nach
dieser Woche wollte Ute schon die Transalp absagen. Tausendzweihundert
Höhenmeter an einem Stück waren kein Problem, das Problem war
schon der einfachste Downhill. Selbst auf schönsten glattgebügelten
Schotter stieß Ute an Ihre Grenzen und rollte im Schneckentempo
runter - kindskopfgroße Steinwege bei denen ich ein dauergrinsen
im Gesicht hatte wurden von Ute gar geschoben - egal!
Zurück in niederrheinischen Wäldern wurde weiter das Gewicht auf
zwei Rädern beim überqueren von kleinen Hindernissen verlagert
und kontrolliert gebremst wurde nur noch mit einem Finger. Die
Spitzkehre oben auf´m alten Bahndamm musste gefühlte 64 mal angefahren
werden bis der Erfolg da war. Unser Leben nach der Arbeit war
wie ein Race King Reifen, es drehte sich nur noch ums Thema Transalp…
Bei der ersten BIKE Transalp im Jahr 1998 führte Gründer Ulrich
Stanciu geradeeinmal 250 Teams mit einem Roadbook und zwanzig
Stempelstellen von Mittenwald quer über die Alpen zum Gardasee.
Heute, bei der 13. Auflage sind die 2er Teamplätze heiß begehrt
und die 550 Plätze waren innerhalb von 2 Minuten vergeben.
Wir, die "Fremdgänger" hatten Glück und waren mit dabei.
Die siebte Etappe ist die kürzeste und ließt sich eher einfach:
Gesamtlänge 47,73 Kilometern, davon 0,4 km auf Asphalt, 17,33
km asphaltierter Radweg, 22,35 km Schotter, 2,41 km Wald/Wiesen,
4,06 km Pfad und 0,51 km schieben verteilt auf 2,321 Höhenmetern
von Malé (ITA) nach Madonna di Campiglio (ITA).
Nach einem anständigen Frühstück starten wir noch hoch motiviert.
Gemütlich geht es zum Start unserer Etappe, wo die Gemütlichkeit
allerdings ein viel zu frühes Ende findet. Die ersten Höhenmeter
noch locker pedalierend finden wir uns bald auf ein mit steilen
Pfaden durchzogenen Waldstück wieder, unsere Bikes schiebend oder
tragend. Schwitzend und stets der Sonne entgegen geht es bergauf
bis wir den Scheitelpunkt Bolentina erreichen. Bei der 5 km langen
Abfahrt volle Konzentration.
Dann folgt von Piano aus der mit über 20 Kilometer und 1.300 Höhenmeter
längste Aufstieg des heutigen Tages hinauf auf über 2.100 m, wo
die Brenta zum Greifen nah ist. Der Himmel verfärbt sich, es wird
schwarz und fängt an zu blitzen und donnern. Innerhalb von wenigen
Minuten verwandelt sich der Schotterweg in einem reißenden Fluss.
Wir stellen uns an einer Berghütte kurz unter und warten auf das
Ende des Gewitters. Dann geht es weiter. Von Sonnenschein keine
Spur mehr. Wir versinken mit den Rädern in tiefen Pfützen, stampfen
durch knöcheltiefen Matsch und können nur noch kurze Strecken
fahren. Die kurze letzte Abfahrt nach Madonna di Campiglio wird
zur reinen Rutschpartie. Dreckig, verschlampt und mit einem 2
Kilogramm schwereren Bike überfahren wir nach 5 Stunden und 27
Minuten mit einem lächeln die Ziellinie.
Wir spritzen die Bikes beim Bike Wash ab, mit dem Wasser verschwinden
dreckige Andenken an einem der besten Biketage unseres Lebens
im Gulli. Was bleibt sind unsere Eindrücke und Erinnerungen an
die grandiosen Trails der siebten Etappe…
Riva del Garda am 24. Juli 2010 - WIR HABEN ES GESCHAFFT! Bei
einer Gesamtzeit von neunundvierzig Stunden, achtundfünfzig Minuten
und vierzehn Sekunden blieb für uns die Uhr beim überqueren der
letzten Ziellinie stehen, Platz 48 von 70 gestarteten mixed Teams
- da waren wir stolz und es wurde so richtig gefeiert…
Jetzt, drei Wochen nach der BIKE Transalp: Uns geht´s so richtig
gut und wir haben alles richtig gemacht. Wollten mit nur kleinen
Schrammen über das Idjoch und Co und haben es ohne einen einzigen
Sturz, aber dafür mit einem Lächeln im Gesicht geschafft. Selbst
Ute ist jetzt eine pinke Piratenbraut geworden - auch wenn sie
es noch nicht so richtig zugibt…
Nils Gieskens |