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100 Kilometer durch die Nacht

Ein Erlebnisbericht der Lausitzer Laufpiraten von ihrer Teilnahme am 12. Run & Bike, in Neuzelle.

Der Erholungs-und Wallfahrtsort Neuzelle, an der deutsch-polnischen Grenze zwischen Guben und Eisenhüttenstadt, ist ein beschaulicher und eher ruhiger Ort. Nicht nur das Zisterzienserkloster, mit der Stiftskirche St. Marien, ist ein Anziehungspunkt für viele Touristen. Auch die abwechslungsreiche Landschaft, mit ihren flachwelligen Abschnitten und Höhenzügen mit tiefen Rinnenseen, lädt viele zum radeln und wandern ein. Doch einmal im Jahr  wird es hektisch und die etwa 4400 Seelengemeinde ist völlig aus dem Häuschen. Immer am Wochenende nach dem Vatertag findet das legendäre „Run and Bike“ statt. Ein Sportevent der Extraklasse, mit Tradition. Die Idee dazu wurde im Jahr 2000 von zwei laufbegeisterten Freizeitsportlern der Region in einem Strassencafé von Biel geboren. Als Team 100 Kilometer unter Zuhilfenahme eines Fahrrades zurücklegen. Start und Ziel sollte das Klosterportal in heimischen Gefilden sein. Als Startzeitpunkt wurde der letzte Glockenschlag des Tages festgelegt. Ein Jahr später wurde ein Probelauf von zwei Teams über die komplette Distanz durchgeführt. 2002 folgte dann die offizielle Deutschlandprämiere, mit der Ergänzung um eine 45 Kilometerdistanz. Genau so geschieht es seither und von Jahr zu Jahr nehmen immer mehr Sportler die Herausforderung an.

Zurück im Schlaubetal                                                                                                                             Bereits  2010 waren die Lausitzer Laufpiraten in Neuzelle gewesen und haben mit zwei Teams, über 45 Kilometer, am 9. Run & Bike teilgenommen. Es war damals eine völlig neue und positive  Erfahrung gewesen einen Wettkampf als Team zu bestreiten. Sofort nach dem Zieleinlauf stand fest dass sie eines Tages ins Schlaubetal zurück kommen werden um nach der traditionellen 100 Kilometerdistanz zu greifen. Nach drei weiteren Laufjahren und unzähligen Kilometern in den Laufschuhen haben sich Steffen Gierth(41) und Harald Skopi(34) dazu entschlossen dieses Vorhaben 2013 anzugehen. Mittlerweile haben beide die Königsdisziplin über 42,195 Kilometer (Marathon) bestritten und die weiteren gesammelten Langdistanzerfahrungen sollten nun ausreichen um das Vorhaben in die Tat umsetzen zu können.                                                                                                                                                   
Am späten Nachmittag und bei Regen trifft das Laufpiratenduo am Austragungsort ein. Auf dem Klosterhof beginnen die Vereinsmitglieder des Run & Bike Neuzelle e.V. alle Vorbereitungen zu treffen. Das Organisationsbüro ist schon eingerichtet und die Startunterlagen können ausgefasst werden. Es ist  achtzehn Uhr, noch sechs Stunden bis zum Start. Erst mal einen „Schwarzen Abt“, zur Beruhigung. Kein Sportevent hat bei Skopi bisher so viel Nervosität hervorgerufen. Da kommt das süße Dunkle, aus der Klosterbierbrauerei, gerade recht. Zudem muss weiterhin Zucker und Flüssigkeit aufgeladen werden. In den vergangenen Tagen haben sich beide Läufer überwiegend kohlehydratreich ernährt. Nudeln, Reis und dunkles Brot, in den letzten Stunden vor allem Süßes. Die körpereigenen Depots müssen vor geladener Energie platzen. Ebenso die gespeicherten Flüssigkeitsvorräte.                              
 Nach und nach treffen immer mehr Freizeitsportler ein und machen sich mit den Gegebenheiten vertraut. Galgenhumor macht sich breit. Wenn wir uns Mühe geben und morgen vor acht Uhr im Ziel sind starten wir gleich noch die 45 Kilometer hinterher, scherzen die Laufpiraten. Dabei wissen beide dass es für sie nur ein Ziel gibt, Durchhalten und gesund ankommen.  

 Pirate Neuzelle

Die Ruhe vor dem Sturm                                                                                                                           
Nach wenigen Stunden der Ruhe werden Gierth und Skopi, durch den anhaltenden Ruf eines Waldkautz, in die Realität zurück geholt. An erholsamen Schlaf im PKW war nicht zu denken, zu groß ist die Anspannung. Mit einem bepackten und hervorragend ausgerüsteten Fahrrad kehren sie an die Startlinie zurück. Der Klosterhof ist nun voll gestopft mit Schaulustigen, Angehörigen und den genauso Verrückten die alle nur eins wollen, endlich los. Eine Jugendband gibt dem ganzen Treiben den nötigen kulturellen Rahmen und der Veranstalter informiert über das Reglement und die letzten Sicherheitsvorkehrungen des Wettkampfes. Dann bittet er die 44 gemeldeten Teams an die Startlinie unter das Klosterportal. Die Läufer vorne und die jeweiligen Teampartner mit dem Rad dahinter. Die Stirnlampen und weitere Beleuchtungseinrichtungen jeglicher Art werden in Betrieb genommen.
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Auf in die Dunkelheit                                                                                                                      
Nach dem der letzte Glockenschlag verhallt ist und somit der neue Tag begonnen hat ertönt zugleich das Startsignal. Endlich geht es los und nun gibt es kein Zurück mehr. Unter dem Beifall der Passanten werden die Athleten in die Nacht geschickt. Die Gemeinde Neuzelle ist hellwach, niemand will dieses wohl größte Ereigniss der Region verschlafen. Die Anwohner stehen teilweise im Morgenmantel an den Straßen um viel Glück zu wünschen. Alle, deren Füße  es noch bis zum eigenen Gartentor geschafft haben, sind außer sich. Mit Krawalwerkzeug und Musikmaschinen wird Rabatz gemacht. Und immer wieder heißt es: Kommt gut durch und vor allem gesund wieder. Genau das ist es, dieser familiäre Charakter  der außergewöhnlichen  Sportevents der immer wieder dazu einlädt mit zumachen. Nur wenige Meter nach dem Start hat Skopi, auf dem Rad, den vorweg laufenden Gierth in dem überschaubaren Starterfeld ausfindig gemacht. Von nun an geht es gemeinsam dem Ziel entgegen, doch das ist noch sehr weit entfernt. Die zwei Laufpiraten haben ihre bisher längste Distanz gestartet, nun heißt es alles richtig machen und nichts riskieren was die Wiederkehr, nach 100 Kilometern, gefährden könnte. Langsam zieht sich die gestartete Menge auseinander und die Teams verschwinden nach und nach in den stockfinsteren Anhöhen. Das Team aus der Lausitz wechselt zunächst alle zwei Kilometer. Das Kommando dazu gibt Gierth, anhand seiner GPS fähigen Pulsuhr. Nahezu auf den Meter genau tritt der Radfahrer kurz an und steigt zugleich vom Rad. Der Läufer schließt die wenigen Meter auf und greift das Rad am Sattel. Hab ich, ertönt es und der eben noch gefahrene läuft los. Diese Prozedur wird sich in den kommenden Stunden noch unzählige male wiederholen. Keiner mag es ausrechnen wie oft aber auf alle Fälle gleichmäßig, solange es geht. Das am Ende jeder annähernd dieselben Lauf-und Radkilometer absolviert hat. Nach 19 Kilometern ist die erste Etappe erreicht und die Kontrollkarte bekommt ihren ersten Stempel, als späteren Nachweiss dass die vorgegebene Strecke genommen wurde. Von den Streckenposten kommt der Hinweis, dass das Spitzenteam 20 Minuten voraus ist. Nachdem die Trinkflaschen aufgefüllt wurden geht es direkt auf den Oder-Neissedamm. Keine Straßenlaterne erhellt den schmalen Asphaltweg, nur vereinzelt sind zur Orientierung Fackeln aufgestellt. Wie ein langer Wurm schlängeln sich die Rücklichter und die Stirnlampen der Teams durch die Dunkelheit. Fünfzig, manchmal einhundert bis zweihundert Meter getrennt von einander spulen sie Kilometer für Kilometer runter. Es wird kalt, vor allem für den Radfahrer, da kein Baum oder Strauch Windschutz bietet. Gierth und Skopi entscheiden sich die Wechselintervalle auf drei Kilometer auszudehnen. Somit lohnt es auf dem Rad eine wärmende Jacke über zuziehen. Die Gespräche unter den Teampartnern verstummen langsam. Nur das Froschkonzert des Grenzflusses reißt nicht ab. Auf den bisherigen 30 Kilometern hat man sich nun alles erzählt was es zu erzählen gab. Von vergangenen Sportereignissen geschwärmt und über die kommenden spekuliert.

Leberwurstbrötchen und Isodrinks                                                                                                   
Bisher läuft alles nach Plan. Das lockere aber zügige Tempo hat sich für das Laufpiratenteam bewährt gemacht. Bis zum nächsten Kontrollpunkt, bei Kilometer 31 in Eisenhüttenstadt, sind noch keine drei Stunden vergangen. Abgesehen von dem bisherigen einen oder anderen kleinen Snack ist es nun höchste Zeit etwas Handfestes zu sich zunehmen, was den  vorgeschwächten Körpern weiterhin langfristig Energie bereitstellt. Gierth schwört auf bewährte Sportlernahrung und greift immer wieder zu Energy Gels. In Verbindung mit viel Wasser stellen sie in kurzer Zeit ein hohes Maß an Kohlehydrate bereit. Skopi hingegen verträgt die süßen, hochkonzentrierten Zuckerbomben nicht. Bei einem Marathon, im Vorjahr, hat er schlechte Erfahrung damit gemacht. In der Packtasche am Fahrrad sind drei Leberwurstbrötchen verstaut die er über die komplette Distanz, nach und nach in kleinen Stücken, verzerrt. Dazu gibt es Isodrinks und Wasser im Wechsel.                                    
Oberhalb von Eisenhüttenstadt geht es nun auf der Landstraße weiter. Die Beleuchtungseinrichtungen haben ihren Dienst erfüllt und in der Morgendämmerung kann man schon von weiten die Streckenposten erkennen, die an jedem Abzweig verschlafen die Richtung weisen. Kurz nachdem die Laufpiraten das 50 Kilometerschild passiert haben und ihnen zugleich bewusst wird dass sie die Hälfte ihres Vorhabens hinter sich gebracht haben werden sie von einem Rettungswagen unter die Lupe genommen. Minutenlang fährt er hinter ihnen her und kontrolliert jeden Schritt und Tritt. Jede Aktion und Reaktion wird aus medizinischer Sicht genau beobachtet. Beim anschließenden Überholvorgang sucht der Rettungsassistent in den verschwitzten Gesichtern nach Anzeichen von Benommenheit, bevor er seine Fahrt fortsetzt. Es ist mittlerweile kurz vor fünf Uhr, die Vogelwelt ist längst erwacht und im Depot der freiwilligen Feuerwehr Wiesenau riecht es nach Kaffee. Der nächste Versorgungs- und Kontrollpunkt, bei Kilometer 53, ist erreicht. Die  folgenden Abschnitte werden nun immer anspruchsvoller, es geht zurück ins Schlaubetal und mit jedem Kilometer schließt sich der Kreis mehr und mehr. Neben Anstiegen geht es jetzt auch durch die angrenzenden Wälder und das Radfahren auf sandigen Wegen ist schon längst keine Erholung mehr. Stellenweise ist der Läufer dem Radfahrer, in dem unwegsamen Gelände, weit voraus. Zudem bemerkt Gierth, dass eine alte Sportverletzung am linken Sprunggelenk auf sich aufmerksam macht. Jetzt erst Recht muss jeder Schritt genau überlegt sein um die Belastung so gering wie möglich zu halten und um vielleicht doch irgendwie durch zu kommen. Die Wechselintervalle werden auf zwei Kilometer verkürzt, vor allem auch weil der Leistungsabfall mit jedem Kilometer deutlicher zu spüren ist. Der warme Tee bei Kilometer 70 tut gut doch die Schokolade wird immer mehr im Mund. Das hat nun wirklich nichts mehr mit Genuss zu tun, sie dient als reiner Zuckerlieferant und muss irgendwie runter. Dazu gibt es gleich noch einen weiteren Happen von den Leberwurstbrötchen, die mit zunehmender Temperatur immer trockener werden.
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Nach der Pflicht folgt die Kür
Das Wetter hätte in dieser Nacht nicht besser sein können. Wechselsachen sind zwar am Fahrrad verpackt aber es ist trocken geblieben. Immer schneller steigt die Temperatur in den frühen Morgenstunden und die Sonne meint es gut, bald zu gut. Aber die Wärme ist erträglich. Hingegen immer größer werden Gierth seine Beschwerden am Sprunggelenk. Aber er beißt die Zähne zusammen und lässt sich kaum was anmerken. Noch vor dem letzten Kontrollpunkt verkürzt das Duo ihren Wechselintervall ein weiteres mal. Nur eintausend Meter bis zur nächsten ebenso kurzen Erholungsphase auf dem Rad. Das Etappendenken wird jetzt immer deutlicher. Mit jedem Wechsel wird runter gerechnet wie oft noch jeder diesen einen Kilometer zu laufen hat, bis man es hoffentlich bis nach Neuzelle zurück geschafft hat. Die Kräfte schwinden immer mehr und das Tempo wird geringer. Die Kilometer, die auf der ersten Hälfte zur jeweils vollen Stunde gut gemacht wurden, werden nun durch den Leistungsabfall gefressen. Immer wieder erinnern sich beide daran, dass es nur ihr Ziel ist anzukommen und dass die Zielzeit, sofern es sie geben wird, völlig egal ist. Dennoch haben beide bisher immer die Zehnstundenmarke im Hinterkopf gehabt.
Der letzte Kontrollpunkt wird bei Kilometer 90 erreicht und die Karte bekommt ihren letzten Stempel. Es gibt noch einmal warmen Tee, sonst nichts. Die Aussichten, des Streckenposten, auf die kommenden Beschaffenheiten des nun folgenden Waldweges, kann das Laufpiratenduo nicht wirklich schocken. Bis hier her haben sie es geschafft, das war die Pflicht. Nun folgt die Kür. Mit einem „weiterhin viel Glück und kommt gut an“ wird das Team auf die letzten zehn Kilometer verabschiedet. Nach wenigen Metern offenbaren sich die angekündigten Verhältnisse, in den Höhen des Schlaubetals, wirklich als Kür der gesamten Distanz. Der wohl viele hundert Jahre alte Kopfsteinpflasterweg ist mit dem Rad kaum befahrbar. Die Anstiege tun ihr letztes dazu. Gierth kann kaum noch laufen. Der frisch gebackene Marathoni und hervorragende Läufer schafft es, aufgrund seiner Beschwerden im Sprunggelenk, kaum noch seinen Laufintervall zu absolvieren. Bei Skopi stellen sich leichte Magenkrämpfe und Übelkeit ein, sein Körper signalisiert ihm auf diese Weise dass es nun genug ist. Die gegenseitige Motivation reicht jedoch aus um auch die letzten Anhöhen zu meistern.
Mittlerweile sind die ersten Dächer zu sehen und die piratische Langdistanz Crew muss begreifen dass es, bloß gut, gleich geschafft ist. Ein letzter Wechsel findet statt. Skopi übergibt das Rad an seinen verletzten Partner und läuft wie von Hornissen gejagt die Straße hinunter. Vorbei an den Anwohnern die kurz nach Mitternacht schon einmal hier an der Straße standen. Es ist erstaunlich was für Reserven frei werden wenn der Körper Adrenalin schießt.  Eine Laiencombo begrüßt jedes heimkehrendes Team mit handgemachter Musik, vom Gehsteig aus, und Kinder strecken ihre Hände den Vorbeilaufenden zum Shakehands entgegen. Noch einmal biegt die ins Ziel führende Straße ab und die St. Marienkirche ist zu sehen. Durch die Streckenposten werden alle Fahrzeuge zum stehen gebracht und der Asphalt gehört jetzt nur noch den Kopftuchträgern. Kaum biegt das Duo auf die Zielgerade ein wird es auch schon vom Sprecher angekündigt. “Ein weiteres Team hat es geschafft, die Lausitzer Laufpiraten mit Steffen Gierth und Harry Skopi sind nach 100 Kilometern zurück in Neuzelle. Die letzten Meter hinauf zum Klosterportal gehen runter wie Öl, als wären es die ersten am heutigen Tag. Sich jetzt, in dem Spalier von jubelnden und kopfschüttelnden Passanten, ein Lächeln heraus zu zwingen fällt nicht schwer. Beim Zieldurchlauf, unter dem Klosterportal, bleibt die Uhr der Zeitmesseinrichtung bei 9 Stunden und 45 Minuten stehen. 100 Kilometer unter 10 Stunden. Für einen Augenblick fühlen sich die zwei Laufpiraten ganz groß, und sacken auf der nächsten sich bietenden Sitzgelegenheit in sich zusammen.
Auch wenn keiner von ihnen daran gezweifelt hat dieses Ziel erreichen zu können, so haben sie nicht  mit dieser Zeit gerechnet. In Summe haben beide Teampartner in  dieser Nacht jeweils 50 Kilometer im Laufschritt und 50 Kilometer auf dem Rad zurückgelegt.
Ein paar Tage werden die Waden und Oberschenkel noch zwicken, vor allem bei Gierth der in der fünften Etage wohnt. Aber es wird nicht mehr lange dauern bis die Lausitzer Laufpiraten wieder aufbrechen um sich neuen Herausforderungen zu stellen, denn „Die Schmerzen vergehen, was bleibt ist der Stolz“.
Harry
Pirate 13 Neuzelle

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