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Das Dach der Welt, aus der Ferne

Es gibt Orte, die lassen einen nie mehr los, wenn man einmal dort gewesen ist.

Das sind nicht immer besonders spektakuläre Orte. Kailua-Kona, Hawaii, zum Beispiel, ist außerhalb der Ironmanwoche ein eher verschlafenes Nest heißt es, wo gerade mal ein paar Kreuzfahrttouristen an Land gehen. Immerhin gibt es dort aber gleich drei gut sortierte Bikeshops.
Ganz anders Eidfjord. Eidfjord hat gar keinen Radladen, ist kleiner als Kona, nur die Kreuzfahrtschiffe kommen und gehen.
Dem aufmerksamen Beobachter wird allerdings auffallen, dass um das erste Augustwochenende seit etwa 10 Jahren sämtliche Unterkünfte im Umkreis von 20 Kilometern ausgebucht sind. Und richtig, ganz plötzlich, spätestens am Donnerstag davor, wird es aus heiterem Himmel geschäftig im Ort. Transparente werden ausgerollt, Fahnen gehisst, die Straßen mit Parolen bemalt.
Pirate Norseman

Fast aus dem Nichts tauchen stündlich mehr Menschen vor dem größten Hotel am Platze, direkt am Pier, auf. Sie alle haben ein Ziel: Den Konferenzraum des Hotels, in dem die Registrierung für den mittlerweile legendären Norseman Extreme Triathlon stattfindet.   

Zum dritten Mal nun sind wir dabei und wieder fühlt es sich an wie Freunde besuchen. So ähnlich ist es ja auch. Naja, wo wird man schon von sich selbst begrüßt?
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Das Wetter ließ für den Renntag Schlimmstes befürchten. Gegenwind bis Windstärke 8 und Starkregen über den ganzen Tag meldete der beunruhigend zuverlässige norwegische Wetterdienst, dafür sollte es einigermaßen mild bleiben, ein kleiner Trost nach den 9° beim letzten Mal. Trotzdem, dem Wetter galt der letzte Gedanke vor dem ungewohnt frühen Zubettgehen und der erste nach dem noch ungewohnter frühen Aufstehen um 2:00 Uhr. Und siehe, ein milder und tatsächlich trockener aber noch stockdunkler Morgen erwartet uns. Sollten die sich doch geirrt haben? An Ende des Tages wissen wir, dass man sich nicht halb so sehr geirrt hatte, wie wir uns das gewünscht hätten, aber dazu kommen wir später…

Um 4:00 Uhr jedenfalls, pünktlich wie immer, legt die Fähre zum Schwimmstart mit ihrer Fracht aus Crew, Presse und plötzlich sehr stillen Athleten am Pier in Eidfjord ab.
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Fünfzig Minuten später hat das Boot die Startposition erreicht. Unaufhörlich rückt der große Moment näher, die Bugklappe wird hochgefahren, die versammelte Gemeinde macht sich bereit zum kollektiven Sprung in die schwarze, 16° kalte Tiefe.
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Dick eingepackt mit Neoprenanzug, Neoprensocken und Neoprenhaube unter der offiziellen Schwimmkappe schwimmt es sich angenehm. Zwar ist es mit nur 231 Startern so einsam im Fjord, dass ich manchmal fürchte, der letzte und einzige Schwimmer im Wasser zu sein, was sich aber später Gott sei Dank als unbegründet herausstellt. Als ich nach der abschließenden Schwimmparade entlang des ganzen Piers an Land stolpere, finde ich in der Wechselzone soviele Räder wie noch nie. Schwimmbestzeit, der Tag beginnt, golden zu leuchten. Der nächste Irrtum…

Die ersten 35 Kilometer der Radstrecke führen bekanntlich vom 0 auf 1250 Meter Höhe. Die ersten zwei Drittel stellen im Nachhinein betrachtet den angenehmsten Teil der Strecke dar. Noch euphorisch und gut gelaunt, klettere ich Kurve um Kurve bergauf, alles läuft gut. Bis dann 10 Kilometer vor der Kuppe der Wind kommt. Wenn nämlich auch der Regen bis jetzt ausgeblieben ist, der vorhergesagte Wind ist leider Realität hier oben. 19 Meter in der Sekunde, genau von vorne. Das ist mehr, als ich sogar auf Hawaii erlebt habe. Das beherrschende Thema für den Rest des Tages ist definiert.
Trotzdem bleibt die Querung der Hardangervidda der Streckenteil mit der höchsten Grundgeschwindigkeit, manchmal sogar zu schnell für das Auge…
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Kurz vor Geilo, etwa ab KM 80, fängt es dann doch noch an zu regnen. Als wäre das nicht genug, erwartet uns direkt hinter dem bekannten Wintersportort der erste von 4 Anstiegen, alle zwischen 6 und 8 Prozent steil und 4 bis 8 km lang. Eigentlich nicht viel, allerdings zur Unzeit, auf der zweiten Streckenhälfte, man ist hier dann doch nicht mehr ganz frisch. Der Regen lässt zwar bald nach, stattdessen zieht aber dichter Nebel auf.
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Besonders der letzte Berg, die Auffahrt zum Imingfjell-Plateau, schmerzt. 6 Kilometer Quälerei werden, oben angekommen, mit einer Überraschung belohnt: Das sogenannte Plateau ist gar keins sondern steigt munter weiter an. Nicht mehr so steil, aber wieder voll im Gegenwind, 8 lange Kilometer. Die Brutalität der Natur, gar nicht einmal die der Strecke, wird von so Manchem unterschätzt. Kälte, Wind, Nebel, Einsamkeit - wer auf Tour-de-France-Atmosphäre steht, sollte lieber auf anderen, heimischen, Langstrecken sein Glück versuchen.
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Am Ende des Imingfjell wartet eine 30 Kilometer lange Abfahrt, die zu Beginn aus gefährlichen Kurven, später aus einer kaum fahrbaren Buckelpiste und Baustellen (!) besteht. Auch nicht wirklich entspannend. Schon lange, spätestens seit KM 120, spekuliere ich darauf, auszusteigen und der gefühlten Gesundheitsschädigung ein Ende zu setzen. Alles schmerzt, vor allem Füße und Rücken. Wenn ich das alles hier überlebe, brauche ich als Erstes neue Radschuhe. Aber wer will schon alleine auf einem verlassenen Hochplateau im Nebel und Regen herumstehen, in der Hoffnung, vom Supportteam irgendwann gefunden zu werden? Nein, nicht mit mir, nach exakt 11:00h Rennzeit trudele ich in T2 am Tinnsjö neben dem Campingplatz von Austbygde ein.

Mittlerweile bin ich mental wieder so weit stabilisiert, dass ich beschließe zu kämpfen, wenn meine Platzierung nach Verlassen der Wechselzone im Bereich 160 liegt. Wir erinnern uns: Kriterium für das Finish auf dem Gaustatoppen ist ein Zeit-Cutoff von 14:30h bei KM 32,5 der Laufstrecke und gleichzeitig eine Platzierung nicht schlechter als 160. Das würde sich also lohnen, 3:30h wäre unter hohem Einsatz vielleicht machbar. Aber nur dann.
Nach umständlichem Wechsel trabe ich langsam los, jemand hält mir ein Schildchen entgegen, auf dem ich groß und deutlich „202“ lesen kann. So, das war´s also. Nur noch gerade von der T2-Wiese hoch auf die Straße, das Team anrufen und einsammeln lassen. Mehr will ich jetzt echt nicht mehr. Auf der Straße angelangt, versuche ich, ein paar Schritte zu laufen. Hmmm. Geht ja, nicht mal die Achillessehne meldet sich. Dabei hatte ich solche Angst, nicht laufen zu können mit meiner Entzündung dort. Hatte extra am Tag vor dem Rennen noch den rechten Laufschuh frisiert, um Schmerzen zu vermeiden.
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Um es kurz zu machen: Ja, es geht irgendwie. Das erste Stück der Laufstrecke ist nicht sonderlich anspruchsvoll.
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Ich laufe mehr oder weniger flüssig und durchgängig bis etwa KM 23, dann wird die Mischung aus Schmerz, Erschöpfung und Selbstmitleid zu groß, ich muss gehen. Vorher hat sich mir noch ein schon bekanntes aber immer wieder, je nach Zustand, eindrucksvolles oder viel mehr furchteinflößendes Schauspiel geboten. Die Straße ins Rjukantal macht bei KM 20 eine Linkskurve, in der sich zum ersten Mal eine der Hauptfiguren des Tages langsam ins Bild schiebt: Der Gaustatoppen offenbart seine ganze grausame Größe, um die kleinen Figuren, die sich die lange Straße entlang arbeiten, zu erschrecken. Wie die beiden Male zuvor, bin ich hier längst soweit, dass ich erleichtert bin, nicht da hoch zu müssen. Die Tatsache, dass die Alternativroute immerhin auf der halben Höhe verläuft, verdränge ich erfolgreich.
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Nun also beginnt der Wandertag. Spätestens ab KM 25 war das ohnehin zu erwarten, am “Zombie Hill“ läuft niemand mehr, der nicht um Topplatzierungen zu kämpfen hat. Die Straße windet sich ab hier über 7 endlose Kilometer den Berghang hinauf bis zum Tischchen des Schicksals, dem Checkpoint an der 32,5-Kilometer-Marke. Natürlich ist es inzwischen sehr spät geworden, genau 16 Stunden habe ich bis dahin auf der Uhr.
Wie immer biege ich auf die White-Shirt-route links ab. Lukas, mein Support, begleitet mich schon seit dem Fuß von Zombie Hill, gemeinsam wandern wir erschöpft aber guter Dinge in die Dunkelheit. Es ist nicht Jedem klar, dass diese Strecke alles Andere als flach und einfach zu bewältigen ist. 2009 bin ich hier noch gelaufen, 2011 ging fast gar nichts mehr und auch heute wird nur im 11-Minuten-Schnitt gegangen.
Stunden später gelangen wir endlich an den allerletzten Wendepunkt.
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Bent Olav, gewissermaßen Chef der Besatzung hier, ist genauso lange auf den Beinen wie ich, hat heute früh mit dem Kajak das Schwimmen die Schwimmstrecke gesichert und ist dann die 220 Kilometer hierhin gefahren. Der letzte Wendepunkt ist seine Lieblingsarbeit als Crewmitglied, „my people“ nennt er die in der Nacht versprengten White-Shirt-finisher. Sein Arbeitstag hat heute gut 24 Stunden. Es ist unfassbar, was dieses kleine Team auf sich nimmt, um uns diesen Wettkampf zu ermöglichen!

Unendlich lange anderthalb Kilometer weiter erreichen wir endlich den Zielbogen. 18:25h, das ist gut 20 Minuten schneller, oder eher weniger langsam, als 2011. Athlet und Support sind am Ende doch noch überglücklich, es wieder einmal geschafft zu haben.
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Mittlerweile sind zwei Wochen vergangen. Ich sitze zuhause und versuche, mir der Tag wieder ins Gedächtnis zu rufen. Komisch, länger dauert es nicht, die Schmerzen und die Anstrengung zu vergessen und sich alles in der Erinnerung schön zu färben.
Ich war angetreten, um einen letzten Versuch zu unternehmen, das  schwarze Shirt zu erringen. Sollte das nicht gelingen, hatte ich versprochen, zu akzeptieren, dass der Norseman einfach eine Nummer zu groß für mich ist. Heute weiß ich,  dass ich dieses Versprechen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht halten kann. Tut mir ja auch leid, aber das wird nicht gehen, nicht nach 3 Starts hier. Einfach wegbleiben kann man nie mehr.      

Daniel Flöttmann
a.k.a. Sgt. Silverback
Team Pirate

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